Die Schlagzeilen überschlagen sich vor Entsetzen, so beschreibt das in Cincinnati/USA ansässige „Genetic Literacy Project“ die Reaktionen auf eine Studie, die einen möglichen Zusammenhang zwischen Glyphosat und männlicher Unfruchtbarkeit untersucht. Die Studie, die in der National Library of Medicine verfügbar ist, analysiert Glyphosat in Spermien und der Fruchtbarkeit der französischen Bevölkerung. Ziel war es, herauszufinden, ob Glyphosat mit einer sinkenden Fertilität in Verbindung steht. Hierzu wurden Blut- und Samenproben untersucht und auf Glyphosat getestet sowie die Spermienqualität und -quantität gemessen und nach Hinweisen auf oxidativen Stress gesucht.
Hintergrund der Studie
Glyphosat, das wegen seiner weit verbreiteten Nutzung untersucht wurde, gilt als eines der am häufigsten eingesetzten Pflanzenschutzmittel. Endokrine Disruptoren, die in verschiedenen Produkten wie Pflanzenschutzmitteln, Lösungsmitteln, Kunststoffen oder Kosmetika vorkommen können, stehen im Verdacht, Fruchtbarkeitsstörungen zu verursachen. Die hormonelle Wirkung dieser Stoffe kann bereits in kleinen Konzentrationen auftreten. Die Toxizität von Glyphosat als endokriner Disruptor ist jedoch umstritten. Die Autoren der Studie untersuchten Glyphosat, weil es das am weitesten verbreitete Pflanzenschutzmittel ist.
Kritik an der Studie
Kevin Folta, Autor eines Artikels auf den Internetseiten des Genetic Literacy Project, äußert sich kritisch zur Studie. Er betont, dass die Anwendungshäufigkeit von Glyphosat kein Beleg dafür sei, dass es sich um einen endokrinen Disruptor handelt. Die amerikanische Umweltschutzbehörde habe die vorliegenden Daten geprüft und keinen Hinweis darauf gefunden, dass Glyphosat ein endokriner Disruptor sei. Millionen von Nutztieren, die Futter von mit Glyphosat behandelten Flächen gefressen haben, hätten ebenfalls unter einer sinkenden Fruchtbarkeit leiden müssen, wenn Glyphosat tatsächlich diese Wirkung hätte.
Folta kritisiert weiter, dass die Studie nur nach einer einzigen Chemikalie unter den Tausenden gesucht habe, die in Spermien vorkommen können. Zudem seien nur geringe Nachweise erbracht worden. Er bemängelt auch die Methodik der Studie: Es wurden nicht die Spermien selbst untersucht, sondern die Begleitflüssigkeit, die an anderen Orten produziert wird. Der Titel der Untersuchung „Glyphosat in menschlichem Sperma“ gebe diesen Sachverhalt nicht korrekt wieder.
Auch den Test auf oxidativen Stress hält Folta für unspezifisch, da er lediglich aufzeigt, dass etwas die Produktion von freien Radikalen verursacht. Er kritisiert die Verwendung des Begriffs „entdeckt“ (im Original „detected“) als Nachweisform und betont, dass die tatsächlichen Konzentrationen von Glyphosat gering gewesen seien. Diese Mengen seien in der Begleitflüssigkeit und nicht in den Spermien festgestellt worden. Die Daten der Studie zeigten zudem, dass die Spermienqualität bei Männern, bei denen Glyphosat nachgewiesen wurde, und denen, bei denen kein Nachweis erfolgte, gleich sei.
Mediales Echo und Missverständnisse
Das mediale Echo auf die Studie war riesig und teils irreführend. So wurde berichtet, dass alle Männer, bei denen Glyphosat gefunden wurde, unfruchtbar waren. Dies sei jedoch nur die logische Konsequenz aus der untersuchten Gruppe, nämlich unfruchtbaren Männern. In der Gruppe gab es auch Männer ohne Glyphosatnachweis, die ebenfalls unfruchtbar waren. Folta schlussfolgert, dass die Schwächen der Studie dazu führten, dass 99 % der Wissenschaftler, denen dieselben Daten vorgelegt würden, zu dem Schluss kommen würden, dass fast kein Glyphosat vorhanden sei und die Spermien nicht beeinträchtigt würden.
Den Grund für das große Aufsehen sieht Folta in dem nebulös formulierten Titel der Studie „Glyphosat in menschlichem Sperma: Erster Bericht und positive Korrelation mit oxidativem Stress in einer unfruchtbaren französischen Population“ und in der Bereitschaft der Presse, auf furchterregende Schlagzeilen zu setzen, ohne den Sachverhalt gründlich zu prüfen.