Knapp vierzig Jahre nach dem schweren Atomunfall in Tschernobyl gibt es jetzt möglicherweise gute Nachrichten für Landwirte in der Ukraine. Eine aktuelle Untersuchung der Universität Portsmouth in Zusammenarbeit mit dem ukrainischen Institut für landwirtschaftliche Radiologie zeigt, dass einige Flächen, die bislang als radioaktiv belastet galten, künftig wieder für den Pflanzenbau genutzt werden könnten. Die Forschungsergebnisse wurden kürzlich im Journal of Environmental Radioactivity veröffentlicht.
Landwirte könnten somit perspektivisch Flächen zurückgewinnen, die nach der Katastrophe im Jahr 1986 für den Ackerbau verloren gegangen waren. Damals wurden rund 2600 Quadratkilometer in der unmittelbaren Umgebung des havarierten Reaktors aufgegeben und zur sogenannten Sperrzone erklärt. Seitdem gelten weite Teile dieser Böden offiziell als ungeeignet für eine landwirtschaftliche Nutzung. Diese Einstufung beruht überwiegend auf Grenzwerten, die bereits 1991 festgelegt wurden.
Allerdings hat sich die Strahlenbelastung seitdem deutlich verändert. Radioaktive Stoffe haben sich durch natürliche Prozesse reduziert. Besonders das langlebige Radionuklid Cäsium wanderte in tiefere Erdschichten, wodurch es Pflanzen nicht mehr so leicht aufnehmen können. Damit könnten Flächen unter bestimmten Bedingungen wieder genutzt werden, die früher als zu gefährlich galten.
Im Rahmen der Untersuchung untersuchten Wissenschaftler eine Versuchsfläche von rund 100 Hektar im Norden der Ukraine. Diese Fläche zeichnet sich durch mineralische Böden mit geringem Anteil an organischer Substanz aus. Die Forscher entwickelten dabei eine praktische Methode, um die radioaktive Belastung zügig und unkompliziert einzuschätzen. Dazu nutzten sie einfache Messgeräte (Dosimeter) und nahmen einzelne Bodenproben, um die Menge relevanter Stoffe wie Cäsium, Strontium und Plutonium-Isotope zu bestimmen.
Aus den gewonnenen Daten errechneten sie die mögliche Aufnahme dieser Radionuklide durch gängige Feldfrüchte wie Kartoffeln, Roggen oder Mais. Ihre Modellberechnungen zeigten dabei, dass die Belastung der Ernteprodukte auf der Testfläche unterhalb der aktuell gültigen ukrainischen Grenzwerte bleiben würde. Die errechnete Belastung für Landwirte durch äußere Strahlung läge ebenfalls bei weniger als einem Millisievert jährlich – ein Wert, den internationale Richtlinien als sicher einstufen. Die Forscher wiesen allerdings darauf hin, dass hierbei vor allem externe Strahlenquellen entscheidend sind und weniger die Aufnahme durch Lebensmittel.
Trotz der ermutigenden Ergebnisse ist weiterhin Sorgfalt notwendig. Die Forscher betonen ausdrücklich, dass ihre Ergebnisse nur für sandige und mineralische Böden mit niedriger Humusschicht gelten. Für Böden, die reich an organischen Materialien sind, seien weitere Untersuchungen zwingend notwendig. Ihre Studie bietet dennoch eine wichtige Grundlage, um Böden in kontaminierten Regionen weltweit erneut auf ihre Eignung für die Landwirtschaft zu prüfen.
Dieser Ansatz könnte helfen, brachliegende landwirtschaftliche Flächen wieder nutzbar zu machen, sofern die Risiken sorgfältig bewertet und als gering eingestuft werden. Für die Ukraine, die stark auf die Landwirtschaft angewiesen ist, wäre dies eine bedeutende Entwicklung. Eine Wiederaufnahme der landwirtschaftlichen Nutzung nahe der Sperrzone müsse jedoch wissenschaftlich begleitet und genau kontrolliert erfolgen.
Der Reaktorunfall vom 26. April 1986 veränderte nicht nur die Ukraine nachhaltig, sondern hatte schwerwiegende Folgen für ganz Europa. Auch deutsche Landwirtschaftsbetriebe bekamen die Auswirkungen deutlich zu spüren, da radioaktive Stoffe über Mitteleuropa verteilt wurden und Böden, Gewässer sowie landwirtschaftliche Flächen belasteten. Bis heute finden sich insbesondere in Süddeutschland bei Waldpilzen und Wildtieren vereinzelt erhöhte Werte an radioaktivem Cäsium. Die Katastrophe von Tschernobyl macht daher deutlich, wie tiefgreifend und langanhaltend die Folgen eines solchen nuklearen Unglücks sein können.