Die aktuellen Bauernproteste in Deutschland haben erstmals eine breite gesellschaftliche Solidarität erfahren. Was als Reaktion auf Kürzungen der Agrarhilfen begann, hat sich zu einem Stellvertreterkonflikt zwischen der gut organisierten Bauernschaft und der Ampelkoalition entwickelt. Die Bauern erhalten Unterstützung von Handwerkern, Spediteuren und besorgten Konsumenten, die ihnen Proviant und Beifall spenden.
Der Bauernverband ist optimistisch, dass er den Kampf gegen die Sparmaßnahmen gewinnen kann. Die Regierung wirkt uneins und inkonsistent, mit der SPD, den Grünen und der FDP, die sich gegen die Sparauflagen stellen. Die Proteste tragen fast Züge eines Kulturkampfes zwischen der Provinz und den Metropolen.
Der Landwirtschaftsminister Cem Özdemir hat erkannt, dass auf die Bauern zugegangen werden muss, um ihre Unzufriedenheit anzuerkennen und Maßnahmen zu erklären. Der Strukturwandel und technische Fortschritt setzen die Bauern seit Jahren unter Druck, während sie sich mit Regulierungen, Bürokratie und der Marktmacht der Lebensmittelindustrie konfrontiert sehen.
Die Rücknahme der Sparmaßnahmen würde das Vertrauen in die Regierung weiter schwächen. Stattdessen sollten Bundesregierung und Ampelkoalition einen umfassenden Dialog mit den Bauern über eine gemeinwohlorientierte Landwirtschaft führen, die den Anforderungen eines sich wandelnden Industrielandes gerecht wird.
Denn eine nachhaltige, klima- und tiergerechte Landbewirtschaftung ist im Interesse aller – auch der urbanen Metropolenbewohner. Die aktuellen Bauernproteste könnten somit zu einem Gesellschaftsvertrag führen, der über finanzielle Sparmaßnahmen hinausgeht und eine neue Ausrichtung der Landwirtschaft begründet.