Ein möglicher Beitritt der Ukraine zur Europäischen Union könnte sowohl für die Ukraine als auch für die EU selbst zahlreiche Vorteile mit sich bringen. Dies betonen der ukrainische Agrarmanager Dr. Alex Lissitsa und der Hallenser Agrarökonom Prof. Alfons Balmann. Beide Experten widersprechen Befürchtungen, dass ein EU-Beitritt der Ukraine die Agrarwirtschaft in den bestehenden EU-Mitgliedstaaten negativ beeinflussen könnte.
Im Interview mit AGRA Europe erklärt Dr. Alex Lissitsa, dass die Diskussion über angeblich dominierende Megafarmen von 100.000 Hektar in der Ukraine nicht der Realität entspricht. Tatsächlich werden die meisten landwirtschaftlichen Flächen von Betrieben bewirtschaftet, die zwischen 1.000 und 10.000 Hektar groß sind. Lissitsa, der an der Humboldt-Universität Berlin studiert hat, verweist auf die enormen Produktivitätsfortschritte der ukrainischen Landwirtschaft in den letzten 20 Jahren vor dem Kriegsausbruch 2022. Seiner Meinung nach könne die EU-Landwirtschaft einiges von der Ukraine lernen. Ein EU-Beitritt würde dem ukrainischen Agrarsektor zudem mehr politische und wirtschaftliche Stabilität bringen, so Lissitsa, der mit seinem Buch „Meine wilde Nation“ für Aufmerksamkeit sorgte.
Prof. Alfons Balmann entkräftet Bedenken, dass der heimische Ackerbau durch einen EU-Beitritt der Ukraine massiv unter Druck geraten könnte. Bereits jetzt profitiere die deutsche Tierhaltung von Getreideimporten aus der Ukraine. Ein EU-Beitritt würde zwar den Anpassungsdruck auf die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) erhöhen, jedoch sei eine Reform ohnehin notwendig. Balmann betont, dass die derzeitige Subventionspraxis der EU nicht zur großstrukturierten Landwirtschaft in der Ukraine passe.
In der Ukraine bestehe ein großer Bedarf an Infrastrukturentwicklung, insbesondere in ländlichen Gebieten. Staatliche Gelder seien hier sinnvoller investiert als in Direktzahlungen an die Landwirtschaft. Auch in der EU müsse über eine zielgerichtetere Verwendung knapper staatlicher Mittel nachgedacht werden, wobei ein EU-Beitritt der Ukraine helfen könnte.
Die Experten sehen in einem EU-Beitritt der Ukraine eine Chance für beide Seiten, die landwirtschaftliche Produktion zu optimieren und die politische sowie wirtschaftliche Stabilität zu stärken.